Das Jahr 2019 brachte weitere wissenschaftliche Befunde für den Insektenrückgang zutage, gleichzeitig aber auch kritische Handlungsanleitungen und politischen Willen für den Insektenschutz, ein Wort, dessen Bedeutung sich von „Schutz vor Insekten“ zu „Schutz von Insekten“ wandelte. Die sächsischen Projekte INSEKTEN SACHSEN und „Puppenstuben gesucht – Blühende Wiesen für Sachsens Schmetterlinge“ sind auch in diesem Jahr auf einem guten Weg.
Gleich zu Beginn des Jahres 2019 gaben die australischen Wissenschaftler Francisco Sánchez-Bayo und Kris A. G. Wyckhuys einen weltweiten Überblick über den Insektenrückgang anhand von 73 wissenschaftlichen Publikationen. Danach könnten in den nächsten Jahrzehnten 40% der Insektenarten aussterben. Dungkäfer, Hautflügler und Schmetterlinge sind am stärksten von diesem Rückgang betroffen.
Im April und Mai 2019 kam die Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES), auf Deutsch “Weltbiodiversitätsrat” der Vereinten Nationen (UN) zu ihrer siebten Vollversammlung in Paris zusammen („Weltkonferenz zur Artenvielfalt“). Auf dieser wurde der in den drei Jahren zuvor erarbeitete Globale Bericht über den Zustand der Artenvielfalt mit mehr als 1.500 Seiten Umfang erörtert und schließlich öffentlich vorgestellt. Für Entscheidungsträger gibt es dazu eine Zusammenfassung (summary for policymakers) sowie Auszüge aus dieser in deutscher Sprache. Zu den ernüchternden Zahlen des Berichtes gehört die Tatsache, dass seit Beginn des 16. Jahrhunderts durch den Einfluss des Menschen bereits 680 Wirbeltierarten ausgerottet wurden. Demgegenüber konnten durch den Naturschutz nur 32 Vogel- und Huftierarten gerettet werden. Der Anteil der vom Aussterben bedrohten Insektenarten wird vorläufig auf 10 % geschätzt. Von schätzungsweise acht Millionen Tier- und Pflanzenarten (davon 75% Insekten) sind 500.000 bis 1 Mio. Arten vom Aussterben bedroht. Robert Watson, Präsident des IPBES, sagt dazu „Der Verlust der Artenvielfalt ist genau wie der von Menschen verursachte Klimawandel nicht nur ein ökologisches Problem. Er sei ebenso ein wirtschaftliches, soziales, moralisches, aber auch ethisches Thema. Alle Menschen müssten Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Und Audrey Azoulay, Generaldirektorin der UNESCO, sagte „Nach dieser Konferenz könne niemand mehr sagen, dass er nicht gewusst habe, wie dramatisch die Lage sei. Der IPBES-Bericht sei das Ergebnis jahrelanger Arbeit und konfrontiere alle Beteiligten damit, was getan werden müsse. „Wir wissen, dass das ein kritischer Moment in der Menschheitsgeschichte ist.“
Am 27. Juni 2019 wurde der Entwurf für ein „Handlungskonzept Insektenvielfalt im Freistaat Sachsen“ veröffentlicht. Wir berichteten darüber in dieser Nachrichtenrubrik am 2. Juli 2019.
Im Koalitionsvertrag von CDU, Bündnis 90 / Die Grünen und SPD für die sächsische Regierung von 2019 bis 2024 heißt es dazu „Wir werden ein „Handlungskonzept Insektenvielfalt im Freistaat Sachsen“ beschließen und umsetzen“, wobei die Insekten auch von der Realisierung vieler anderer Ziele im Kapitel „Umwelt- und Naturschutz“ (S. 82 ff.) des Koalitionsvertrages profitieren würden. Den Koalitionsvertrag gibt es bei CDU, Bündnis 90 / Die Grünen und SPD zum Download.
2018 startete das Volksbegehren „Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern“, bekannt unter dem Motto „Rettet die Bienen!“. Im November 2018 unterschrieben 94.700 stimmberechtigte Bürger*innen den Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens (25.000 Stimmen wurden benötigt). Vom 31. Januar bis 13. Februar 2019 trugen sich 1.745.383 Wahlberechtigte in die Listen ein. Damit wurde es das erfolgreichste Volksbegehren in der Geschichte in Bayerns. Am 17. Juli 2019 verabschiedete der Bayerische Landtag das Gesetz mit 167 Ja-Stimmen, 25 Nein-Stimmen und fünf Enthaltungen (Drucksache 18/1736). Das Gesetz trat am 1. August 2019 in Kraft. Die rund 100 neuen Regelungen für einen verbesserten Natur- und Artenschutz in Bayern treten am 1. August in Kraft. Demnach müssen in Bayern künftig unter anderem Biotope besser vernetzt werden. Zudem muss entlang von Gewässern ein mindestens fünf Meter breiter Grünstreifen von landwirtschaftlicher Nutzung frei bleiben. Entlang von Straßen und Äckern sollen Blühstreifen entstehen, der Einsatz von Pestiziden soll eingeschränkt, der Öko-Landbau deutlich ausgeweitet und die „Lichtverschmutzung“ während der Nacht eingedämmt werden. Für zusätzliche Aufgaben und Belastungen erhalten die Landwirte Ausgleichszahlungen in Höhe von 70 Millionen Euro im Jahr.
Ein Volksbegehren “Rettet die Bienen” startete auch in Baden-Württemberg sowie in Brandenburg die Volksinitiative “Artenvielfalt retten – Zukunft sichern”.
Am 4. September 2019 beschloss die Bundesregierung das “Aktionsprogramm Insektenschutz” (Download). Damit werden 100 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich für die Förderung von Insektenschutz, vor allem in der Agrarlandschaft, und für den Ausbau der Insektenforschung bereitgestellt. Zu den wichtigsten Zielen gehören der Schutz und die Wiederherstellung von Insektenlebensräumen in allen Landschaftsbereichen und in der Stadt, klare Vorgaben für eine umwelt- und naturverträgliche Anwendung von Pestiziden und deutliche Reduzierung des Eintrags von Pestiziden und anderen Schadstoffen in Insektenlebensräume, die Eindämmung des “Staubsaugereffekts” auf Insekten durch insektenfreundliche Lichtquellen sowie die Förderung und Unterstützung des Engagements für Insekten in allen Bereichen der Gesellschaft.
Es wird darauf ankommen, die politischen Initiativen umzusetzen und mit Leben zu erfüllen. Für die anstehenden Aufgaben im Bereich Insektenschutz werden der Erwerb und die Vermittlung von Artenkenntnissen, die Gewinnung von Artenkennern sowie die Bereitstellung von Informationen eine bedeutende Rolle einnehmen. Der Arbeitskreis Entomologie im NABU Sachsen hat seit 2019 einen neuen Webauftritt, womit die Sächsische Entomologische Zeitschrift (SEZ) als Open Access Zeitschrift erscheint. Dies bedeutet, dass alle Artikel online publiziert werden und frei verfügbar sind. 2019 wurden im Projekt INSEKTEN SACHSEN 22.105 Beobachtungen mitgeteilt, so viel, wie nie zuvor. Zudem konnten dank einer Förderung durch die Sächsische Landesstiftung Natur und Umwelt die Plattform sowie die App „Tagfalter Sachsen“ zur App INSEKTEN SACHSEN weiterentwickelt werden.
Im Projekt „Puppenstuben gesucht – Blühende Wiesen für Sachsens Schmetterlinge“ entstand ein Erklärfilm, die Anzahl der registrierten Nutzer erhöhte sich auf über 350 und die der Schmetterlingswiesen im Freistaat auf über 400. Auf Anregung des sächsischen Landtages wurde die Initiative „Sachsen blüht!“ in das Projekt implementiert, im Rahmen derer für die Neuanlage oder Aufwertung von Flächen mit einer Größe von 1.000 bis 2.000 Quadratmetern gebietseigenes Saatgut bereitgestellt wird. Die Evaluierung mit der 100-Kescherschlagmethode im Verlauf von fünf Begehungen auf neun Schmetterlingswiesen ergab eine Arthropodenbiomasse von 6,32–22,55 g, auf den nahegelegenen intensiv gemähten Flächen von 0,05–1,64 g. Aus diesem Fang wurden Bienen, Heuschrecken, Käfer, Raubfliegen, Schwebfliegen, Tagfalter und Wanzen auf Artniveau bestimmt. Die Artenzahlen auf den Schmetterlingswiesen betragen 49–84, auf den intensiv gemähten Flächen 0–10. Insektenlarven und damit Reproduktionsnachweise wurden auf den neun Schmetterlingswiesen für 94 Arten, auf den neun intensiv gemähten Flächen für zwei Arten erbracht. Die Schmetterlingswiesen unterscheiden sich damit signifikant von den intensiv gemähten Grünflächen hinsichtlich Artenanzahl und Biomasse. Im Herbst wurde das Projekt erneut von der UN Dekade Biologische Vielfalt ausgezeichnet. Im Schmetterlingswiesenprojekt wird es zukünftig darum gehen, die Flächenanteile mit einer insektengerechten Mahd im Freistaat zu erhöhen und danach zu schauen, wie die Artenvielfalt auf den jetzigen Projektflächen weiter erhöht werden kann.
Allen, die sich in diesem Jahr für die Insekten in Politik, beim Monitoring, bei der Qualitätsprüfung auf INSEKTEN SACHSEN oder bei der Pflege der Schmetterlingswiesen engagiert haben, danke ich hiermit ganz herzlich und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit im kommenden Jahr. Es gibt viel zu tun – packen wir es an!
Matthias Nuß