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Streuobst

Unter Streuobst versteht man mittel- bis hochstämmige und großkronige Obstbäume, die in weiten Abständen auf Streuobstwiesen oder als Alleen wachsen. Streuobstbestände setzen sich aus Obstbäumen verschiedener Arten, Sorten und Altersklassen zusammen. Charakteristisch ist die doppelte Nutzung mit Obstanbau und einer Unterkultur meist in Form von Graslandnutzung, seltener Ackerbau oder Gartenbau.  Streuobst stellte über Jahrhunderte die Versorgung der Bevölkerung mit Obst sicher. Historisch gab es auf den Streuobstwiesen in Deutschland mehrere Tausend Obstsorten. Seit den 1950er Jahren geht der Bestand der Streuobstwiesen und Obstbaumalleen in Deutschland drastisch zurück. Viele alte Obstsorten sind in diesem Prozess bereits ausgestorben. Die mehreren Hundert verbliebenen Obstsorten langfristig zu erhalten wird nur möglich sein, wenn diese auch zur regionalen Versorgung mit Obst und Obstprodukten genutzt und die Bäume in diesem Prozess auch gepflegt und bei Bedarf mit Nährstoffen versorgt werden. Mit dem Klimawandel entstehen für die langlebigen Streuobstkulturen neue Bedingungen. Dazu zählen ein früherer Beginn der Obstblüte und damit verbunden die zunehmende Gefahr von Spätfrösten während der Blütezeit sowie Hitze und Trockenheit in der Vegetationsperiode.

 

Lebensraum Streuobstwiese

Streuobstwiesen weisen mit den Obstbäumen und der darunter stattfindenden Grünlandnutzung eine strukturelle Komplexität auf, die so in unserer Kulturlandschaft nur selten anzutreffen ist. Sie vereinen Standortfaktoren des Waldes und des Offenlandes und stellen deshalb Lebensräume für viele einheimische Pflanzen-, Tier- und Pilzarten. In Ostritz wurden auf einer 2,5 ha großen, 2006 angelegten Streuobstwiese mit 217 Hochstämmen und 53 Apfelbüschen 1.080 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten im Zeitraum von 2017 bis 2024 nachgewiesen (Decker et al. 2025). Bei einer anderen Untersuchung wurden in Sachsen-Anhalt auf zehn Streuobstwiesen 3.623 Arten nachgewiesen (Schuboth & Krummhaar 2019). Ein solcher Artenreichtum stellt sich vor allem ab einem Baumalter von etwa 40 Jahren ein und nimmt noch einmal deutlich mit dem Entstehen von Alt- und Totholz sowie Baumhöhlen zu. Mit der Art und Weise der Grünlandbewirtschaftung sowie der Anlage von Hecken und Steinhaufen kann die Artenvielfalt auf Streuobstwiesen erheblich gefördert werden, einschließlich der natürlichen Gegenspieler von potentiellen Schaderregern an Obstbäumen. Zu diesen Gegenspielern zählen Räuber wie Marienkäfer, Florfliegen und Schwebfliegen sowie Parasitoide wie Schlupf- und Erzwespen. Auch Wildbienen werden durch das Blütenangebot einer Hecke oder der Wiese gefördert, wie z. B. die Rostrote Mauerbiene und die Gehörte Mauerbiene. Beide Arten fliegen im zeitigen Frühjahr ab Temperaturen, bei denen die Honigbiene noch nicht aktiv ist und sind somit ein wichtiger Garant für eine gute Bestäubungsrate der Obstbäume.

Was du tun kannst:

Vorhandenes Streuobst erhalten

 Je älter die Bäume auf einer Streuobstwiese sind, desto höher ist ihr Wert für die Artenvielfalt. Die Zweige können für vegetative Vermehrung alter Sorten durch Veredlung auf geeignete Unterlagen und Stammbildner genutzt und so ein Beitrag zum Erhalt alter Sorten geleistet werden. Bestandslücken sollten beizeiten durch Nachpflanzungen geschlossen werden, damit jüngere Bäume nachwachsen, die nach ein paar Jahren Ertrag bringen und eine Baumaltersmischung auf der Fläche erzielt wird. Bei abgestorbenen Bäumen sollte der Holzkörper als Hochstubben erhalten werden. Es sollte geprüft werden, ob die gewünschten Obstarten und -sorten auf dem jeweiligen Standort unter den veränderten Klimabedingungen mittel- und langfristig erhalten werden können.

Bei Neupflanzungen verschiedene Sorten nutzen

Viele Obstsorten sind nicht oder nur eingeschränkt fruchtbar, wenn sie bei der Bestäubung Pollen von der gleichen Obstsorte erhalten. Eine höhere Sortenvielfalt begünstigt deshalb den Befruchtungserfolg und damit die Ertragsaussichten einer Streuobstwiese.

Alte Sorten sind an lange und kalte Winter sowie an Regen während der Vegetationsperiode angepasst. Heute benötigen sie Robustheit gegen Hitze, Trockenheit, Sonnenbrand und Spätfrost. Zudem ändert sich mit diesen klimatischen Veränderungen die Zusammensetzung der Krankheiten und Schaderreger an den Obstgehölzen. Mit der Nutzung verschiedener Sorten erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass nicht alle Bäume einer Streuobstwiese gleich empfindlich beim Auftreten negativer Umwelteinflüsse reagieren. So können Ertragsausfälle und im schlimmsten Fall der Ausfall ganzer Bäume auf einzelne Bäume einer Streuobstwiese reduziert werden.

Die verschiedenen Obstsorten sollten in der Praxis systematisch auf ihre Eignung für gegenwärtige und zukünftige Umweltbedingungen getestet werden. In diese Betrachtung sollten Sorten aus dem Mittelmeerraum und den östlich folgenden Gebieten einbezogen werden. Gleichermaßen sollte bei der Verwendung von Unterlagen und Stammbildnern, auf welche die Obstsorten veredelt werden, auf die Eignung unter den Bedingungen, die der Klimawandel mit sich bringt, geachtet werden.

Bei der Neuanlage von Streuobstwiesen die Standortbedingungen prüfen

Viele Streuobstweisen sind heute auf südexponierten Hanglagen zu finden. Dies ist das Ergebnis der Verdrängung vieler Streuobstwiesen in den vergangenen Jahrzehnten, insbesondere von ebenen Flächen, die leichter zu bewirtschaften sind und auf denen Streuobstwiesen anderen Nutzungsarten weichen mussten. In Abhängigkeit von der Höhenlage können gut besonnte und oft zu heiße und zu trockene Standorte wie südexponierte Hanglagen für Süßkirsche und Maulbeere geeignet sein, wenn im Sommer ausreichend Wasser im Boden vorhanden ist. Auf sonnenexponierten Standorten kann im Winter aufgrund der großen Temperaturdifferenzen zwischen Nacht und Sonnenaufgang sowie besonnter und beschatteter Stammseite die Entstehung von Frostrissen am Stamm begünstigt werden, die dann Eintrittspforten für Krankheiten wie z. B. den Schwarzen Rindenbrand bieten können. Nordhänge sind tendenziell kühler, feuchter und windgeschützter sowie Westhänge besser mit Niederschlag versorgt, weshalb diese Lagen besser für den Apfelanbau geeignet sind. Die Nähe zu einem Bachlauf kann aus dieser Sicht ein vorteilhafter Standortfaktor für Streuobstwiesen darstellen, unter Umständen aber auch die Auswirkungen von Spätfrosten verstärken, was bei der Sortenauswahl zu berücksichtigen ist. Trockene Standorte und Sandböden sind hingegen ungeeignet. Die Möglichkeit eventuell notwendig werdender Zusatzbewässerung nicht nur für die ersten Jahre nach der Pflanzung sollten geprüft werden.

Auf gute Qualität des Pflanzmaterials achten

Die Vitalität eines Baumes im Laufe seiner potentiell langen Lebensphase hängt ganz entscheidend davon ab, wie er herangezogen wurde. Heutzutage werden Obstbäume meist in Baumschulen herangezogen, wo sie mehrfach verpflanzt und dabei jeweils die Wurzeln gekappt werden bzw. bei einer Topfanzucht die Wurzeln im Kreis wachsen und ein ungünstiges, verdrehtes Wurzelsystem ausbilden. Beim Erwerb solchen Pflanzgutes ist auf entsprechende Qualitätskriterien zu achten. Obstsorten werden vegetativ über eine Knospe oder ein Edelreis vermehrt, die auf eine Unterlage veredelt werden. Möchte man alte Sorten aus dem eigenen Bestand erhalten, kann man dies bei einer Baumschule, die selbst veredelt und Auftragsveredlung durchführt, in Auftrag geben. Man kann Obstbäume auch selbst heranziehen. Dies beginnt mit einer Unterlage, die über Aussaat oder das Pflanzen von Sämlingen gewonnen wird. Nutzt man die Aussaat oder natürliche Verjüngung direkt am Standort und verzichtet auf das Verpflanzen der Bäume, können diese ein natürliches Wurzelsystem ausbilden, was die Vitalität des Baumes fördert und man arbeitet schließlich mit den Bäumen weiter, die sich am jeweiligen Standort am besten entwickeln. Auf diese Unterlagen kann man selbst veredeln, wobei auf eine Wurzelunterlage zunächst noch ein Stammbildner folgen kann und erst darauf die Sorte veredelt wird. Individuell können auf einen Baum auch mehrere Sorten veredelt werden, sofern sie ähnliche Wuchseigenschaften haben.

Auf gute und regelmäßige Pflege kommt es an

Dass Obstbäume nach der Pflanzung gut gewässert werden müssen ist selbst verständlich. Dies gilt aber auch in den Folgejahren, bis die Bäume am Standort gut angewachsen sind und mit ihren Wurzeln Verbindung zu dauerhaft feuchten Bodenschichten erreicht haben. Im Kronenumfang um die Stammbasis herum kann der Boden in den ersten fünf Standjahren von Vegetation freigehalten und mit Stallmist oder Heu abgedeckt werden, um den Baum mit Nährstoffen zu versorgen und vor Austrocknung zu schützen. Diese Abdeckung sollte im Herbst entfernt werden, damit sich hier nicht Wühlmäuse ansiedeln, die schnell die Baumwurzeln erheblich schädigen können. Wichtig ist der regelmäßige Gehölzschnitt. Die Ast- und Zweigstruktur der Krone muss von Anbeginn durch den Gehölzschnitt so strukturiert werden, dass die Krone statisch stabil, optimal belichtet und durchlüftet ist sowie die Neubildung von Fruchtholz gefördert wird. Im Gegensatz zu traditionellen Schnittempfehlungen, bei denen es darum ging, lichte, schnell abtrocknende Kronen zu erzielen, um einem Pilzbefall vor allem mit Apfelschorf entgegenzuwirken, sollte heute darauf geachtet werden, dass die Kronen nicht zu licht sind, um Sonnenbrand entgegenzuwirken. Ein naturgemäßer Obstbaumschnitt bewahrt ein Gleichgewicht zwischen Neutrieb und Ertrag, erzeugt möglichst wenige und möglichst kleine Wunden und zwängt den Baum nicht in eine künstliche Verzweigungsstruktur, die einen hohen Schnittaufwand zur Folge hat.

Pflanzung von Hecken

Hecken am Rande von Streuobstwiesen können gleich mehrere positive Funktionen erfüllen. Auf Flächen, die stark dem Wind ausgesetzt sind, können Windschutzhecken im 90-Grad-Winkel zur Hauptwindrichtung helfen, die Frost- und Windbruchgefahr sowie in trocken-heißen Perioden die Austrocknung des Bodens und der Pflanzen zu vermindern. Mit der Pflanzung verschiedener einheimischer Gehölze wird für viele Arten von Insekten, Singvögeln und Säugetieren ein Lebensraum geschaffen. Hier können sich Artengemeinschaften der Insekten etablieren, die wichtige Räuber (Marienkäfer, Florfliegen, Schwebfliegen) und Parasitoide (Brack-, Erz-, Schlupfwespen, Raupenfliegen) enthalten, die auf den Obstbäumen als Gegenspieler für potentielle Schaderreger fungieren können. Die Hecken mit ihrem Falllaub fungieren im Winter zudem als wichtiger Unterschlupf für Insekten. Diese Funktion kann durch Haufen aus Steinen und Totholz verbessert werden.

Nicht zuletzt kann durch die Verwendung von Wildobst wie z. B. Weißdorn, Hasel, Holunder, Vogelbeere, Gewöhnliche Traubenkirsche und Mispel eine zusätzliche wirtschaftliche Nutzung der Streuobstwiesen erzielt werden.

Nutzung des Grünlandes

Am Boden der Streuobstwiesen befindet sich meist Grünland. Dieses kann durch Mahd, Beweidung oder einer Kombination aus beidem genutzt werden. Im Falle von Beweidung sind die Stämme von Jungbäumen durch Draht oder andere Einhausungen zu schützen. Damit die Grünlandnutzung wirtschaftlich ist, sollte das Grünland als Futter für Rinder, Schafe, Pferde oder andere Haustiere genutzt werden. Auch eine Nutzung mit Hühnern oder Laufenten ist möglich, zumal diese heruntergefallene und mit Kirschfruchtfliegen befallene Früchte fressen und damit eine Weiterentwicklung dieser Insekten entgegenwirken. Wird über einen Zeitraum von vielen Jahren nur gemäht und das Mahdgut abgeräumt, kommt es zu einer Aushagerung der Wiese. Dies fördert bis zu einem gewissen Grad die Pflanzenartenvielfalt. Es sollte aber darauf geachtet werden, dass auf mageren Wiesen eine Düngung wichtig werden kann, um die ausreichende Versorgung der Obstbäume und der Wiese mit Nährstoffen zu gewährleisten. Hier sollte nicht nur Stickstoff gegeben, sondern eine ausgewogene Versorgung mit Phosphor, Kalium und Magnesium sichergestellt werden. Bei der Nutzung von Stallmist ist darauf zu achten, dass keine Problemunkräuter und invasive Arten eingetragen werden. Werden bei der Mahd oder der Beweidung Teilflächen ausgelassen und dies auch über den Winter, können sich hier Pflanzen bis zur Blüte und Insekten entwickeln, und so artenreiche Lebensräume entstehen. Davon profitieren auch Nützlinge, die als Gegenspieler für potentielle Schaderreger an den Obstbäumen fungieren können sowie Wildbienen, die im Frühjahr wichtige Bestäuber der Obstbäume sind und hier ein zusätzliches Blütenangebot finden, während sie Pollen für ihre Brutzellen sammeln. Bei einer solchen Nutzung der Wiese muss auf eine eventuelle Entwicklung von Wühlmäusen geachtet werden. Die Förderung einer artenreichen Streuobstwiese sollte nicht verwechselt werden mit einer Unternutzung der Wiese, die Verbrachung und Gehölzentwicklung zur Folge hätte, was Pflege und Ernte der Obstgehölze deutlich erschweren und die Entwicklung von Wühlmauspopulationen begünstigen würde. Diese können massive Schäden an den Wurzeln der Obstbäume verursachen.

Wirtschaftlichkeit und Förderung

Der Rückgang der Streuobstwiesen begann mit der Einführung der industriemäßigen Obstproduktion in den 1950er Jahren. Will man Streuobst mittel- und langfristig erhalten, muss man also über deren Wirtschaftlichkeit nachdenken. Diese kann sich aus Mischkalkulationen ergeben, bei der regionale Vermarktung und Bio-Zertifizierungssysteme eine Rolle spielen sowie Gelder aus Förderprogrammen oder Ausgleich- und Ersatzmaßnahmen genutzt werden.

Wipfel-Stachelwanze, Acanthosoma haemorrhoidale. © Peter Diehl

Literatur

Links

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